Berger Modellbau, Göttingen

Weichen nach Industrienorm

In den sechziger Jahren ergab eine Bestandsaufnahme bei der deutschen Hüttenindustrie eine Vielzahl von Weichentypen bei den regelspurigen Werksbahnen. Einige Grundformen lagen in fünf oder sechs verschiedenen Abmessungen vor.
Das erhöhte den Aufwand bei der Instandhaltung und erforderte auf den Einzelfall zugeschnittene Konstruktionsarbeit bei der Ersatzteil- oder Neubeschaffung.
Dem Argument, dass sich mit vereinheitlichten Weichentypen spürbare Kosteneinsparungen erzielen ließen, konnte man leicht folgen und so entwickelten die Fachverbände der Werksbahnen und Weichenbauer eine Reihe von Richtlinien.
(Typisierung von Industrieweichen von Fachverband Weichenbau und Arbeitskreis Eisenbahnbau des VDEh).
Kern der Normung waren die Weichengeometrie und die Absteckmaße. Die wurden so gewählt, dass vorhandene Anlagen oft nicht oder nur wenig geändert werden mussten, wenn neue Weichen oder Teile davon eingebaut werden sollten.

Das Programm umfasste folgende einfache Weichen

EW 50-1:3,5
EW 100-1:5
EW 140-1:6
EW 190-1:7
EW 300-1:9
EW 500-1:12
EW 760-1:14
EW 1200-1:18,5
außerdem noch EKW und DKW 140-1:7 und 190-1:7.

In späteren Aufstellungen (z.B. Oberbauhandbuch ThyssenKrupp) finden sich weitere Typen:

EW 100-1:6
EW 140-1:7
EW 190-1:9
SymABW 140-1:7
SymABW 200 1:9
und EKW und DKW 100-1:6 und 190-1:9

Die Weichen werden durch ein abgestimmtes System von Kreuzungen ergänzt.

Mit Festlegung der Grundspurweite auf 1432 mm folgte man der Deutschen Bundesbahn, die dieses Maß 1957 in den Gleisbau eingeführt hat (auch wenn weiterhin 1435 mm das offizielle Regelspurmaß blieb).
Für die Zungenvorrichtungen wurden Federschienenzungen vorgesehen. Gleiche Rohlängen für R 100, 140 und 190 m (11000 mm, später auf 11300 mm geändert) bzw. für R 300 und 500 m (14000 mm, später auf 13700 mm geändert) vereinfachten die Lagerhaltung. Als Verschluss wurde der Klammerspitzenverschluss gewählt. Um eine einfache Einstellung der Verschlüsse zu ermöglichen wurde das verschiebbare Verschlussstück VK 01 für die verschiedenen Schienenfußbreiten entwickelt. Entsprechend den Zungen wurden die Längen der Backenschienen festgelegt. Für die Befestigung der Backenschienen war die aktuelle – und bis heute bewährte – Lösung die innere Backenschienenverspannung (IBaV). Andere Konstruktionen waren weiterhin möglich.
Für die Herzstücke wurden nur die Abmessungen genormt. Die konstruktive Gestaltung blieb bis auf weiteres den Bestellern und Anbietern überlassen. Je nach Bedarf wurden Regelschienenherzstücke, Vollschienenherzstücke oder geschmiedete Blockherzstücke eingebaut.
Die damals neuen UIC 60-Weichen der DB erhielten eine neue Radlenkerbauform. Das Walzprofil U69 wird unabhängig von den Fahrschienen auf geschweißten Böcken befestigt, ein Konstruktionsmerkmal, das sich bis heute (2022) im modernen Weichenbau finden lässt. Im Originalbericht ist von „kleinen Böckchen“ die Rede. Das Profil erhielt später die Bezeichnungen Rl1-60 oder UIC-konform 33C1. Ursprünglich waren nicht überhöhte Radlenker vorgesehen, die bekannte überhöhte Anordnung ist mittlerweile wieder die Regelbauart. Die Radlenker sind mit Blechlagen zwischen dem Rl-Profil und den Böcken nachstellbar.
Weichen mit Radien bis 200 m erhielten 3,7 m lange Radlenker, EW 300 und EW 500 bekamen Radlenker mit 5 m Länge. In der weiteren Entwicklung wurde der 5 m-Radlenker zum Standard für alle EW bis 500 m Radius, die größeren Weichen erhalten solche mit 10 m Länge. Bei DKW sind sie 3,1 m lang.
Die Auftraggeber konnten zwischen Stahl- und Holzschwellen wählen. Wie bei der Staatsbahn können die Weichen inzwischen auch mit Betonschwellen geliefert werden. Das Typenprogramm war zunächst stark auf die Bedüfnisse der Hüttenwerke ausgerichtet. Wegen der Achslasten bis 30 Tonnen sollte der Schwellenabstand 550 mm betragen. Da das Weichenprogramm auch für weniger stark belastete Bahnen aktraktiv war bzw. sein sollte, wurden auch Schwellenabstände bis 650 mm angeboten. Der Abstand von 600 mm wurde dann zum Regelmaß. Die Konstruktionen waren grundsätzlich für die durchgehende Verschweißüng vorgesehen, deshalb gab es keine Doppelschwellen für feste Laschenstöße.
Die handbedienten ortsgestellten Weichen erhielten Langschwellen für die Aufstellung des Weichenbocks. Für fernbediente und elektrisch ortsgestellte Weichen konnten die entsprechenden Anschlüsse (Sonderplatten, Lager- und Trageisen) vorgesehen werden.
Bei der Ausführung des Weichengestänges (Schienen) und den Befestigungsmitteln gab es vielfältige Lösungen. Mittelschwere und schwere Schienen, Regelbauarten der Bundesbahn und ehemalige Länderbahnprofile, die noch in den Katalogen der Walzwerke standen, ermöglichten die Fertigung nach den Anforderungen der Besteller. Die Schienenbefestigungen orientierten sich meistens am Oberbau K, es gab aber auch Versuche mit neuen federnden Elementen, zum Beispiel mit dem Spannbügel Sbü1 (Bauart Deenik) bei den CWH.

Absteckmaße nach Industrienorm

Absteckmaße nach Industrienorm

Das Modell

Das Vorbild meiner Weiche liegt im ehemaligen Anschluss der Hauptgenossenschaft Hannover in Rosdorf bei Göttingen.
Es handelt sich um eine EW 140-1:6-Fsch-H mit Schienen Form 8. Das Walzzeichen lautet Krupp 72 (1972).

EW8-140-1:7-Fsch-H

EW8-140-1:7-Fsch-H

Walzzeichen

Walzzeichen

Ansicht

Ansicht

Die erste Überlegung war eine Weiche dieser Grundgeometrie – durchaus vorbildgerecht – mit S49 aufzubauen. Dann hätten aber die geschweißten Rippen- und Gleitstuhlplatten usw. und die Wanderschutzklemmen nicht mehr gepasst. Also entschied ich mich, mir passende Schienenprofile zu fräsen wie ich es schon einmal für den Rawie gemacht habe – nur etwas mehr und längere Abschnitte.
Da die Weiche geschweißt ist, habe ich Backen-, Zwischen- und Radlenkerschienen gleich in einem Stück angefertigt. Mit zwei einfachen Vorrichtungen gelangen mir auch diese 718,8 und 724,2 mm langen Stücke auf meiner eigentlich zu kleinen Analog-Fräse. Und weil das ganz gut klappte, folgten noch ein paar längere Stücke für das noch zu planende Anschlussgleis. Die Flügelschienen und die Schienen, die an die geschmiedete Herzstückspitze angeschweißt werden, entstanden auch so.
Für die Federschienenzungen stellte mir Hosenträger Rail Systems GmbH freundlicherweise ein Paar hart gelötete Zungenrohlinge zur Verfügung. Mit einer kleinen Modifizierung der Vorrichtungen konnte ich die Rohlinge auch erfolgreich bearbeiten. Die Fußbreite habe ich belassen.

Wanderschutzknaggen

Wanderschutzknaggen

Federstelle und Wanderschutzknaggen

Federstelle und Wanderschutzknaggen

Zungen werden beim Vorbild so bearbeitet, dass die Fahrkante immer an jedem Punkt von reichlich Material unterstützt wird (siehe auch Schienenherzstücke). Dazu hat das Zungenprofil

  1. einen wesentlich breiteren Steg und
  2. wird an der Spitze zur Gleismitte hin abgeknickt.

Der Knick liegt immer an dem Punkt, an dem sich die Schienenköpfe von Backenschiene und Zunge treffen (also der Punkt ab dem der Kopf der Zunge keilförmig zuläuft). Das Profil wird soweit abgeknickt, dass an der Zungenspitze die innere Fußkante der angelegten Zunge 101,5 Vorbild-mm von der Fahrkante der Backenschiene entfernt ist (Maß für 140 mm breites Zungenprofil).
Da meine Fräse mir sowohl von der Größe als auch von den Bearbeitungsmöglichkeiten (Bogen fräsen) strikte Grenzen setzt, kam mir ein befreundeter Modellbaukollege und CNC-Künstler zu Hilfe.
Zunächst muss eine Vorrichtung für die Zungenbearbeitung angefertigt werden. In eine Platte aus fräsfreundlichem Aluminium 3.1325 wird eine Nut gefräst, in die sich die geknickte gerade Zunge spielfrei einlegen lässt. Die Nut für die gebogene Zunge verläuft im Regelschienenteil bis zum Knick im Zungenprofilteil im Bogen und von da bis zur Zungenspitze im abgeknickten Teil gerade. Die gebogene Zunge wird dementsprechend abgeknickt und gebogen und dann in die Nut eingelegt. Im Zungenprofilbereich sind die Nuten nur so tief, dass die Füße der eingelegten Rohlinge mit Blechen festgeklemmt werden können. Die Nuten müssen im Regelschienenbereich etwa 1 mm tiefer angelegt werden.

Zungenlehre anfertigen

Zungenlehre anfertigen

Jetzt können die Fahrkanten gefräst werden. Dazu werden die Zungen nur im abgeknickten Teil mit einem konischen Fräser bearbeitet. Für die gerade Zunge folgt der Fräser der Linie des geraden nicht geknickten Teils und für die gebogene Zunge wird die Fahrkante des gebogenen Teils fortgeführt.
Dann kommen die Anschlagseiten zu den Backenschienen an die Reihe. Ebenfalls mit einem konischen Fräser werden die gerade Zunge in einer Bogenlinie und die gebogene Zunge in der geraden Linie der Backenschiene befräst.

Zungenspitze

Zungenspitze

Zungen fräsen

Zungen fräsen

An den Anschlagseiten werden die Zungenfüße in den abgeknickten Bereichen noch auf eine Gesamtbreite von 120 Vorbildmillimeter abgefräst, da sie sonst mit den Stegen der Backenschienen in Konflikt geraten würden.
Abschließend erhalten die Zungen an den Spitzen die drei Bohrungen für Zungenprüfer, Riegel und den Klammerverschluss, am Schweißstoß zwischen Zungenprofil und Regelschiene die beiden Bohrungen für die Sicherheitslasche, im Bereich der Federstelle die Fußschwächungen der Regelschiene und am Ende noch jeweils zwei Stegbohrungen für die Wanderschutzknaggen.
An den Anschlagseiten werden die Zungenfüße in den abgeknickten Bereichen noch auf eine Gesamtbreite von 120 Vorbildmillimeter abgefräst, da sie sonst mit den Stegen der Backenschienen in Konflikt geraten würden.

einstellbares Verschlußstück

einstellbares Verschlußstück

Klammerspitzenverschluss

Klammerspitzenverschluss

Sicherheitslasche

Sicherheitslasche

Zungenstoß mit Sicherheitslasche

Zungenstoß mit Sicherheitslasche

Zungenkloben

Zungenkloben

Weichenanfang

Weichenanfang

Zungenspitzen

Zungenspitzen

Die Bearbeitungen der anderen Schienen fallen vergleichsweise einfach aus:

  • Die Backenschienen erhalten Bohrungen für die Stütz- und Wanderschutzknaggen.
  • Die Fügelschienen werden im Bereich der Herzstückrille an Kopf und Fuß schmaler gefräst. Am Ende werden die Köpfe für einen sicheren Spukranzeinlauf verjüngt. Jeweils drei Bohrungen werden für die Verschraubung mit der Herzstückspitze eingebracht und jede Flügelschiene wird dreimal geknickt.

Herzstück

Herzstück

Klemmplatte am Herzstück

Klemmplatte am Herzstück

Herzstück

Herzstück

Die Radlenkerbauart unterscheidet meine Industrieweiche deutlich von den bekannten Länder- und Reichsbahnweichen. Die Rippenplatten mit den aufgeschweißten Konsolen entstanden als ein Teil in Neusilberfeinguss. Für das eigenwillige Radlenkerprofil gibt es auch kein annähernd passendes Halbzeug. Außerdem bevorzuge ich für solche Teile als Material Neusilber, da von Spurkränzen blank gefahrene silbrige Stellen besser aussehen als wenn da Messing durchschimmert.
Die Idee für die Anfertigung war schnell geboren. Ein Neusilber-Rundstab soll in einer Nut so gedreht werden, dass die Oberflächen des Profils Schritt für Schritt gefräst werden können. Das funktioniert nach dem Prinzip des Teilapparates, nur dass hier keine der üblichen regelmäßigen Teilungen verwendet wird. Ich habe eine spezielle Teilscheibe angefertigt, mit der ich den Rundstab in jedem notwendigen Winkel positionieren kann.
Etwas spannend war das Fräsen der letzten beiden Positionen, da die Auflage des Rundstabes in der Nut immer geringer wird bzw. beim letzten Schritt nur noch die Enden für Halt sorgen. Bei einer Bearbeitungslänge von etwa 118 mm war ich optimistisch, das Problem mit geringsten Zustellungen beherrschen zu können. Für das Ergebnis gibt es zwar keine hundert Punkte aber es reichte gut um meine Endkontrolle zu passieren. Leider zeigen sich bei der Präsentation des Radlenkers wieder einmal die Grenzen meiner Fototechnik.

rechter Radlenker

rechter Radlenker

Radlenkerprofil Rl 1-60

Radlenkerprofil Rl 1-60

Teilscheibe

Teilscheibe

Nut und Stift

Nut und Stift

Fräsen des Ns-Rundstabes

Fräsen des Ns-Rundstabes

fertig

fertig

Herzstück und Radlenker

Herzstück und Radlenker

Herzstück und Radlenker

Herzstück und Radlenker

Die Rippenplatten, Gleitplatten, Gleitstuhlplatten, Herzstückplatten, Radlenkerplatten und ungeneigten Schienenplatten entstanden in Neusilberfeinguss. Es gibt in der Zungenvorrichtung keine besonderen Platten für die Backenschienenverspannung. Auffällig sind noch die Gleitplatten auf Schwelle 15. Da Stützknaggen hier zu lang geworden wären, sind hier Anschlagstühle aufgeschweißt.

Stützknaggen und Anschlagstuhl

Stützknaggen und Anschlagstuhl

Stützknaggen

Stützknaggen

Anschlagstuhl

Anschlagstuhl

Die Platten sind Schweißkonstruktionen. Die Rippen und die Gleitstühle sind schmaler als die Grundplatte, so dass rundum eine Schweißnaht gezogen werden kann. Für die Verschraubung auf den Schwellen werden Schwellenschrauben Ss1 mit quadratischem Kopf (ehem. DIN 5913) verwendet. Nur am Weichenende unter den Anschlussschienen wurden Walzprofile ähnlich Rp13 eingebaut (siehe Foto Walzzeichen). Wie ich die Fortsetzung dann auf dem angedachten Betriebsdiorama gestalten werde, lasse ich noch offen. Rp13 sind Platten für den Oberbau K mit Form 8 und Form 15-Schienen (110 mm Fußbreite).

Die Platten haben einen oder zwei 2,5 mm Zapfen für die exakte Positionierung auf den Schwellen. Die habe ich so bearbeitet, dass die Weiche einen noch relativ neuen Eindruck macht. Die Schwellen sind von guter Qualität und allseitig bearbeitet und bieten im Bereich der Platten die für Weichenschwellen geforderte Auflagefläche.
Ein kaum wahrnehmbares Detail, aber ich hatte Lust es nachzubilden: Die Gleitplatten und Gleitstuhlplatten haben anders als die sonstigen Platten keine Zwischenlagen (Pappel oder Kunststoff) unte den Schienenfüßen. Dadurch liegen die Schwellen im Bereich der Zungenvorrichtung des Modells 0,15 mm höher.

Die Weiche ist soweit fertig und wartet auf ihren Einbau.
Wiedermal habe ich beim Bau dazu gelernt und werde bei der nächsten Weiche manches anders machen.
Aber: wenn ich ich einen Wagen nur mit dem Finger durch Zungen und Herzstück schiebe und eigentlich nur das Rollen spüre, dann weiß ich: der Aufwand hat sich gelohnt.

Radsatz - Übergang von Flügelschiene auf Herzstückspitze

Radsatz - Übergang von Flügelschiene auf Herzstückspitze

Radsatz auf Herzstück

Radsatz auf Herzstück

letzte Änderung: 20. April 2022